Revolution, schreit der Kopf – Angst, flüstert das Herz

Schreibmaschinenrattern. Kaffeebecher werden hin und hergereicht, der Rauch von Zigaretten kreuzt die Lichtkegel, die von Schreibtischlampen auf wüste Arbeitsflächen strahlen. Menschen laufen hin und her und reden durcheinander. Telefone klingeln.

Wir befinden uns in der Zeitungsredaktion der „News oft the Week“ im Jahr 1969. In dieser Redaktion gibt es drei Etagen. Ganz oben sitzen der Chefredakteur und der Chef vom Dienst. Beide haben ihr eigenes, großes Büro. Eine Etage tiefer sitzen die Journalisten und Reporter und eine halbe Treppe weiter unten ist die Grube. In der Grube stehen die Schreibtische dicht an dicht. Hier ist es ein wenig heller, auch etwas aufgeräumter. Das macht das Stimmengewirr, den Duft von Kaffee und Zigaretten jedoch nicht wett. Die Grube, so könnte man denken, müsste ein dunkler Schacht sein, in dem Bergleute mit Lampen am Kopf sich unaufhaltsam durch Gestein graben. In dieser Grube jedoch, bringen Frauen ehrgeizig und geschickt Ereignisse ans Licht.
Sie sind die Rechercheurinnen der Zeitung. Jede Rechercheurin ist einem Reporter zugeteilt. Ihre berufliche Existenz begründet sich allein durch die Zuteilung zu einem Mann. Die Rechercheurinnen puzzeln in kleinteiliger und aufwendiger Meisterarbeit die Geschichten zusammen, die ihr Reporter dann auf seiner Schreibmaschine tippt. Sein Name ist es, der unter dem Artikel der Zeitung stehen wird. Auch in der Bildredaktion, einem separatem Raum, findet sich diese Konstellation. Ein Bildreporter und ihm zugeteilt, eine Frau, die die Bildunterschriften macht.

Es dauert ein wenig, bis sich die Frauen klar darüber werden, dass sie nur die Grube sind und es bedarf einzelner Impulse, damit ihnen bewusst wird, in welcher Situation sie sich befinden. Draußen, auf der Straße, gehen seit einiger Zeit Frauengruppen auf und ab und demonstrieren für ihre Rechte – Menschenrechte. Aber in dieser Zeitungsredaktion steht die Zeit still – und mit ihr all das, was so gewaltsam und schmerzvoll ins öffentliche Bewusstsein rücken wird: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Herkunft, Selbstbestimmung, mangelnde Anerkennung, Gender Pay Gap, Inbesitznahme von Körpern: alltägliche patriarchale Wirklichkeit.

Die Grubenfrauen haben exzellente Ausbildungen und verfügen über Kompetenzen, die über vernetztes Denken, Engagement und soziale Empathie hinausgehen. Dennoch sind sie nur die Arbeitsbienen und die schöne Dekoration der Zeitung.
Es bedarf bewusstseinsbildender Maßnahmen in Form von Frauentreffen, von konkretem und ungeschöntem Austausch in geschützten Räumen, in Form von Kontaktaufnahme zum eigenen Körper, um etwas in Gang zu setzen, das latent unter der Haut schlummert und nur darauf wartete, rausgelassen zu werden. Und sie sind alle dabei: die fleißigen Frauen, die schönen, die intellektuellen, die alleinerziehenden, die einsamen, die ängstlichen – alle miteinander und alle in einer Person.
Und dann beginnt sie, die Good Girls Revolt.

Good Girls Revolt ist eine Amazon Serie, deren erste Staffel in Deutschland verfügbar ist.
Als ich die ersten acht Folgen der Staffel Anfang Januar gesehen hatte, fühlte es sich für mich so an, als würde all das wieder hochkommen, was ich vor wenigen Jahren in meiner Redaktion, in meinem (Büro-)Alltag erlebt hatte. Ich dachte, dass ich mit dem Abstand, den ich durch die Mutterschaft und die damit verbundene arbeitsreiche Familienzeit erhalten hatte, über diesen Erfahrungen stehen würde, dass die Wunden geheilt wären. Die Wunden sind verheilt. Nach der Kruste wuchs neues Gewebe. Aber die Narben, sie schmerzen und jucken immer noch. Es funktioniert einfach nicht, da Vergebungs- Balsam drauf zu schmieren und fertig!
Und dann sind ja noch mehr Wunden hinzugekommen, aus den gleichen Rahmenbedingungen heraus und dem gleichen Gedankengut entsprungen, wie damals im Büro, im Studium, in der Schule, nur in einer Zeit, in der ich mich nicht nur hauptsächlich über meine berufliche Existenz definierte, sondern vor allem als Mensch, als Frau, als Mutter und als Lebende.

Mein Jahr begann inhaltlich mit Artikeln der Störenfriedas und Phönix Frauen. Mich beschäftigte das Unsichtbarwerden und  die Benachteiligung von Männern.

Nahtlos fand ich anschließend zu der Serie God Girls Revolt, von der ich anfangs berichtet habe und die ich verschlungen habe, immer dann, wenn so etwas wie Freizeit für mich möglich war. Was soll ich sagen? Es ist fast noch genauso wie Ende der 60er Jahre in der Zeitungsredaktion und im Alltag der Protagonist*innen. Alle Tabus, alle Zwänge, alle Benachteiligungen, auch wenn diese heute mit gesetzgebenden Texten theoretisch eliminiert wurden und oft zeitgenössische Gewänder tragen. Im Kern hat sich nichts geändert.

Durch viele unterschiedliche Impulse in den letzten Jahren ist mir bewusst geworden, dass ich auf meine Narben achten und meine Wunden lecken muss. Es ist immer noch nicht vorbei. Es wird auch nie enden, zumindest nicht in meiner restlich verbliebenen Lebenszeit. Denn es geht um mich. Um mich als Frau in diesem Jahrhundert, mich als Mutter in dieser Gesellschaft und mich als Mensch im Gefüge beruflichen und sozialen Engagements.

Und dann lese ich u.a. in diesem Beitrag darüber, was heute aus den Frauen der Grube geworden ist, und ich mache mir Gedanken über das Vermächtnis, das sie uns mitgegeben haben. Ich mache mir Gedanken darüber, welche Aufgaben und noch nicht gelöste Konflikte uns die Frauengeneration unserer Mütter und Großmütter mit auf den Weg gegeben haben, und darüber, was wir unserer Töchtergeneration in die Wiege legen.

Ich frage mich, wie viele Schichten wir abzutragen haben, um an unseren Kern zu kommen, uns zu sehen und bei uns zu sein, damit wir aus unserer eigenen Kraft schöpfen können – als Frauen.

„Manchmal musst du einen gewagten Schritt machen, um zu erkennen, dass hinter der Furcht die Freiheit wohnt.“ Schlaues Zitat! Und nun?

Mein Kopf schreit Revolution– mein Herz flüstert Angst. Und was sagt mein Bauch?
Er sagt: mach mal, dass passt schon!

 

Solidarische Frauentagsgrüße,
Silke

 

 


Den unverschämt genialen Soundtrack zum Film könnt ihr hier hören.

 

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