Nordrhein-Westfalen – geburtenstark und versorgungsschwach?

In NRW sind in den letzten 15 Jahren 16,29% aller geburtshilflichen Einrichtungen geschlossen worden, davon vier Geburtshäuser. Im Fall der Kreißsäle wird das Schließen mit dem demografischen Wandel, insbesondere mit der geringen Anzahl von Geburten begründet. Letzteres wiederum hat das Argument zur Folge, dass sich Geburtshilfe für den Träger der einzelnen Einrichtung nicht mehr rechnen würde. Das Schließen der Geburtshäuser ist den steigenden Haftpflichtversicherungsprämien der freiberuflichen Hebammen geschuldet. Für die Hebammen ist es nicht mehr möglich ihr Angebot aufrecht zu erhalten und Frauen außerklinische Geburtshilfe in einem Geburtshaus anzubieten. Auch hier stehen wirtschaftliche Zwänge vor den Bedürfnissen der Mütter nach vertrauten und kompetenten Geburtshelfern und einer für die Geburt wichtigen entspannungsfördernden und vertrauenerweckenden Atmosphäre.

In wenigen Monaten werden freiberufliche Hebammen des BfHD (Bund freiberuflicher Hebammen Deutschland) nicht mehr versichert sein. Das bedeutet Berufsverbot. Hebammen, die im DHV organisiert sind, sind ab Juli des kommenden Jahres nicht mehr versichert. Geburtshilflich gibt es dann keine Begleitung durch Fachfrauen mehr und auch die Vor- und Nachsorge ist nicht mehr gesichert.

NRW erlebte in den letzten Jahren eine starke Ausdünnung der geburtshilflicher Einrichtungen, bei gleichzeitig steigenden Geburtenzahlen. Für die gebärfähigen Frauen ist die Lage fatal. Sie können in vielen Regionen von NRW nicht mehr auf eine ortsnahe Geburtshilfe zurückgreifen und müssen lange Fahrtwege zum nächsten Kreißsaal in Kauf nehmen. Sie haben keine Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Kliniken und damit auch unterschiedlichen geburtshilflichen Konzepten. Zudem ist es in vielen Teilen von NRW nicht mehr möglich, sein Kind in einem Geburtshaus auf die Welt zu bringen, obwohl der europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Frauen die freie Wahl des Geburtsortes zusprach[1].

In der qualitativen Betreuung der Gebärenden, also der Versorgung der Frau während der Geburt, werden die Auswirkungen der politischen und wirtschaftlichen Sparmaßnahmen bereits heute deutlich. In den Kliniken ist eine 1:1 Betreuung der Frauen nicht gewährleistet. Eine Hebamme muss hier bis zu fünf Frauen gleichzeitig betreuen. Individuelle Geburtsbegleitung durch eine Bezugsperson ist nicht mehr möglich. Vor dem Hintergrund weiterer Schließungen von Kreißsälen und steigender Geburtenzahlen wird sich das Betreuungsverhältnis noch weiter verschlechtern.
Beleghebammen (freiberufliche Hebammen, die Frauen schon vor der Geburt betreuen und sie dann während der Geburt 1:1 in einer Klinik begleiten) geben ihren Beruf aufgrund massiv gestiegener Haftpflichtversicherungsprämien auf. Mittlerweile ist es eine Rarität für Frauen, diese Art von Geburtsbegleitung in der Klinik durch eine Bezugshebamme nutzen zu können.

In der außerklinischen Geburtshilfe ist die Versorgungslage noch kritischer. In ganz NRW gibt es noch 19 Geburtshäuser. Bei einer Fläche des Bundeslandes von etwa 34.084 km² steht nur wenigen Frauen, vorrangig in den großen Städten, die ortsnahe Möglichkeit einer Geburtshausgeburt zur Verfügung.
Genauso sieht es für Frauen aus, die zu Hause ihr Kind gebären möchten. Hausgeburtshebammen sind eine noch größere Rarität geworden als Beleghebammen.

Die geburtshilfliche Lage in NRW ist dramatisch. Doch bisher deutet nichts darauf hin, dass diese Entwicklung gestoppt, geschweige denn in Ihren Auswirkungen wahrgenommen wird.

AKTE_NRW-Geburtshilfe

 

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+++Akte NRW wurde am 11. Mai 2015 veröffentlicht. Alle Daten und Analysen, die sich auf die Recherche offener und geschlossener Einrichtungen beziehen, basieren auf dem Recherchestand von Februar 2015. Alle Angaben ohne Gewähr.

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[1] ECHR, Urteil 67545/09, [online] verfügbar unter: http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20101214_AUSL000_000BSW67545_0900000_000/JJT_20101214_AUSL000_000BSW67545_0900000_000.pdf und http://www.menschenrechte.ac.at/orig/10_6/Ternovszky.pdf, [1.03.2015]

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  1. […] Nordrhein Westfalen – geburtenstark und versorgungsschwach? […]

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