Noch eine Operation – alles Routine

Beim Laternenbasteln gestern habe ich ein Gespräch unter Müttern mitbekommen. Eine frischgebackene Mutter berichtete einer anderen, dass sie jetzt bald zur OP müsse. Sie fragte sich, ob sie nach der Narkose wieder stillen könne. Da wäre sie sich nicht sicher.
Auf Rückfrage erzählte sie, dass Plazentareste in ihrer Gebärmutter zurückgeblieben waren. Sie fühle sich so schlapp seit der Geburt und immer müde. Daher sei sie jetzt froh, dass nach der gynäkologischen Nachsorge endlich eine Diagnose da ist und diese Operation ansteht.
Ich klinke mich in das Gespräch ein und möchte wissen, warum Plazentareste in der Gebärmutter verblieben waren.
„Das kommt oft vor“, sagte sie. Auch schon bei ihrem zweiten Kind war das so. Und diesmal wurde sie auch wieder direkt nach der Geburt ausgeschabt. Nur hatten sie bei der ersten Ausschabung vor fünf Wochen nicht alles entfernt.
Es klang wie Routine, sie wirkte gefasst.

„Hat jemand nach der Geburt an der Nabelschnur gezogen?“, wollte ich wissen.
„Ja, das machen die doch immer so!“, war ihre erschrockene Antwort.
Ich merkte, wie sich meine Kehle zusammenzog.

“In der Regel gebiert der Körper die Plazenta von selbst.“, versuchte ich das Gespräch weiterzuführen.„Diese Operationen sind also durch die Geburtshelfer selbst verursacht worden?“
Sie wurde still und versuchte mich nicht anzusehen. „Haben sie dich um Erlaubnis gefragt, als sie an der Nabelschnur gezogen haben?“, fragte ich. Ihre Antwort kam leise: „Nein, das hat mich niemand gefragt.“
Ich senkte jetzt auch meinen Blick und bastelte angestrengt weiter.
Innerlich begann ich zu zittern, mein Herz klopfte. „Das dürfen die nicht ohne deine Zustimmung machen.“, sagte ich auch ganz leise. Dabei biss ich mir auf die Lippe, denn das Wort Körperverletzung wollte gerade meinem Mund entweichen. „Wer hat das gemacht?“, fragte ich sie. „War es die Hebamme oder der Arzt?“
„Das war der Arzt.“ Die andere Mutter sah mich während des kurzen Gespräches entsetzt an. Jetzt senkten wir alle den Blick und versuchten die Laternen fertig zu bekommen.

Es bedrückt mich sehr, welche Erfahrungen diese Frau machen musste und welche Konsequenzen das für sie bereits hatte. Nun ist sie in der Wochenbettzeit und muss zur zweiten OP. Sie wird von ihrem Baby und ihren anderen Kindern für den Tag der Operation getrennt werden, sie weiß nicht, ob sie weiter stillen kann und wird, und sie muss, wenn sie die OP gemeistert hat, wieder funktionieren, als ob nichts gewesen ist.
War ja auch NICHTS, werden vielleicht einige denken, ist doch normal.
Nein, das ist nicht normal.

Ich weiß nicht, ob sich diese Frau jemals wieder auf ein Gespräch mit mir einlassen wird. #breakthesilence fühlt sich manchmal elend an. Ich hatte noch den ganzen Abend das Gefühl, als hätte ich ein Verbrechen begangen.

nachdenkliche Grüße
Silke, von Elternstimme sichereGeburt.

17 Kommentare

  1. Liebe Silke,

    ich bin immer wieder selbst darüber schockiert, was Frauen unter der Geburt und in der Schwangerschaft als „Normal“ einstufen – sich nicht als Opfer sehen, sondern einfach alles mit sich machen lassen – ungefragt.

    Diese Geschichte ist eine von vielen… Leider.

    Liebe Grüße
    Mother Birth

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  2. Diese und andere Erlebnisse werden als normal empfunden, weil tausende andere Frauen diese Erfahrung teilen. Normal ist, was anderen auch passiert. Wenn etwas als normal angesehen wird, braucht man das auch nicht mehr hinterfragen, denn was alle machen, wird schon so seine Richtigkeit haben.

    Das Schlimme ist das Bewußtsein, dass das eine Geschichte von vielen ist. Umsoviel hilfloser erscheint die Situation.

    Und ja, liebe Mother Birth, schockiert bin ich auch immer wieder.

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  3. Und noch eine Ergänzung an dieser Stelle. Der Fachbegriff heißt: Plazentaretention.

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  4. madameflamusse · · Antworten

    das macht mich so unedlich traurig, wer sehr vieles als normal empfunden wird, was eigentlich zutiefst unsere Integrität verletzt und so tief verwundet. es ist normal in unserer welt das gewalt ausgeübt wird… warum verdammt nochmal zieht jemand an der Nabelschnur…sollte es schneller gehen? Schrecklich…

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    1. Im konkreten Fall kenne ich die Gründe nicht, warum an der Nabelschnur gezogen wurde. Der Zeitfaktor, also der Plazentageburt nicht genügend Zeit einzuräumen, ist oft der Auslöser. Geburt braucht Zeit, und diese Zeit wird den Frauen nicht eingeräumt. Sie wird auch nich vergütet nach dem Abrechnungssystem. DAS ist die traurige Wahrheit. Dass dadurch mehr Kosten verursacht werden, weil Frauen (und Kinder) durch programmierte Geburten krank gemacht werden, liegt nicht im Fokus unseres Gesundheitssystems.Was zählt ist eine Indikation, ein Krankheitsbild, um eine medizinische und oft fragwürdige Maßnahme einzuleiten. Denn ohne Indikation gibt es auch kein Geld.

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      1. madameflamusse · ·

        was halt dabei nicht beachtet wird das geburt und schwangerschaft keine krankheiten sind…

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      2. Wir, also Frauen wie du und ich, wissen das, Mademeflamusse 🙂
        Schwangerschaften und Geburten sind keine Krankheiten. Sie benötigen auch nur selten Geburtsmedizin. Stattdessen brauchen sie Geburtshilfe. Nun ist es aber so, dass alles, was nicht krankhaft (pathologisch) ist, in unserem „Gesundheit“ssystem hinten runterrutscht. Das Nichthandeln, also z.B. Geburten die Zeit geben die sie brauchen – ohne zu intervenieren -, wird nicht vergütet. Was nicht bezahlt wird, findet nicht statt.

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  5. Liebe Silke,
    dieser Beitrag stimmt auch mich nachdenklich, löst Fragen und Ambivalenzen in mir aus. Wie können wir einerseits aufklären und „das Schweigen brechen“ und andererseits gut die Grenzen der betroffenen Frauen wahren? Wie kann es uns gelingen, sie zu sensibilisieren und gleichzeitig genau dort abzuholen, wo sie stehen und sie emotional nicht zu überfordern und damit unbewusst und ungewollt In ihren Grenzen zu verletzen. Wie kann das Recht auf Information über (im diesem Fall Patienten-)Rechte und umfassende Informationen gut vereinbart werden mit einem Recht auf noch (!!!!) Nichtwissen (wollen)?
    Liebe Grüße, Christine

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    1. Genaus das, liebe Christine! Ich kenne die Antworten nicht und ich wünsche mir (uns), dass wir einen Weg finden, um genau dieses Dilemma zu lösen. Dazu kommt auch noch, auf seine eigenen Grenzen zu achten.

      Das Recht auf Nichtwissen ist für mich genauso viel wert, wie das Recht auf Wissen. Bei beiden Wegen kann frau durch die harte Tour in die Realität befördert werden. Bereitet sich sich nicht vor, ist uninformiert und nicht aufgeklärt, kann sie im Falle einer schmerzlichen Situation von dieser total überrumpelt werden. Ist sie aufgeklärt und vorbereitet, hat sie schon viele der Horrorszenarien gedanklich durchgespielt und sich Lösungen zurechtgelegt. Wird sie in der Lage sein, während der Geburt „ihren Kopf loszulassen“? Und was ist, wenn trotz aller Vorbereitung doch alles anders kommt, und sogar noch schlimmer, als sie sich das ausgemalt hat?

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      1. Christine Tisch · ·

        Aus meiner Sicht gibt es drei ganz gute Faktoren. Zum einen geht es um die Frage des Zeitpunktes und noch mehr des Tempos. Ich denke, wenn man zu früh zu viel anspricht, löst dass eher Abwehr, Angst, etc aus und letztendlich das Gegenteil des Gewünschten. Ich finde hier ein „Kutscher fahr langsam, wir haben es eilig“ ganz gut. Der zweite Faktor ist für mich das Fragen. Fragen nach Emotionen. Wie hat sich das für Dich angefühlt? Was hättest du Dir gewünscht? Die Art und Weise der Reaktion kann dann ein guter Indikator sein, wie offen jemand ist, weiter gehen zu können und zu wollen. Der Dritte letztendlich ist Wertfreiheit, und damit meine ich eine wahre, authentische innere Wertfreiheit. Das finde ich das Schwierigsten, nämlich unsere eigenen Werte außer acht zu lassen und zu akzeptieren, dass jemand anderes ganz andere Werte und Prioritäten hat, als man selbst Und ganz andere Wge wählt. Denn, wenn ich diese nicht habe, wird mein Gegenüber automatisch auf Verteidigung und Abwehr schalten. Was für ein gigantischer Balanceakt.

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  6. mlalsacienne · · Antworten

    Doch doch doch, genau das muss sein! So peinigend deine Worte in dem Moment auch gewesen sein mögen – es ist so viel besser, durch diesen Schmerz des Erkennens und Eingestehens zu müssen, als den von den Ärzten verursachten Schmerz als normal abzutun, auch vor sich selbst, ihn zu vergraben, aber eigentlich doch zu wissen, wenn auch unbewusst, dass das Gewalt war. Ich habe nach der ersten Geburt (klinisch) auch ein Jahr lang gesagt, dass alles toll und normal war. Nach anderthalb Jahren und einigen Gesprächen, die schmerzhafte aber notwendige Gedanken in mir angestoßen haben, sagte ich: da war Gewalt in meiner Geburt. Ja, wir sind beide gesund, ja, ich hatte die warmherzigste, beste Hebamme und letztendlich war alles „gut“. Das schmälert aber nicht die übergriffigen Anteile der Ärztinnen und anderen Hebammen, die uninformierten Zustimmungen, die mir abgegaunert wurden, die nicht indizierten Eingriffe. Das musste ich erst Gesprächspartnerinnen und mir selbst gegenüber zugeben. Doch dann war es so unendlich heilsam, um diese Teile der Geburt trauern zu können. Diese Aufarbeitung hat mir und meinem Verhältnis zu meiner Tochter so viel gegeben. Nur deswegen konnte ich bei meiner zweiten Tochter für eine selbstbestimmte, außerklinische Geburt sorgen. Ich bin meinen Gesprächspartnerinnen dankbar – und spreche darum inzwischen Frauen auf die Weise an, die du hier schilderst. Es ist schwer. Ich bin sehr betroffen. Aber ich weiß, dass es heilen kann. Und helfen kann, einen ganz schlimmen Missstand langsam als solchen zu entlarven.

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    1. mlalsacienne, dein letzter Satz- da steht alles drin. Solche (Aufklärungs)Gespräche können heilen (uns selbst) und helfen (anderen). Danke, dass du mitdiskutierst.

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  7. Ich denke, es ist essentiell, über diese Dinge zu sprechen. Für die eigene Aufarbeitung, aber auch für andere Mütter. Leider sind wir in einer Kultur aufgewachsen, die uns abspricht, unseren Körper zu kennen und uns damit quasi zwangsverpflichtet, sämtliche körperliche Belange in die Hände des medizinischen Etablissements zu geben. Wäre dieses System durch und durch gut und tatsächlich und immer an unserem Besten interessiert, würde es konsequent nach wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten, ohne das Selbstbestimmungsrecht seiner Patienten einzuschränken, wäre alles super. Dass das oft nicht so ist, erkennen die meisten erst mit Schrecken, wenn sie es anders erleben. Aber: Das darf ja nicht sein! Wir haben doch gelernt, dass Ärzte gut sind, wir ihnen blind vertrauen sollen. Wir haben sie so hoch auf ein unfehlbares Podest gesetzt, dass wir sie nicht einfach da herunterholen können. Ein schwer aufzulösender Konflikt – der uns am Ende über das Erlebte lieber schweigen lässt.
    Wundersamerweise gebären Tiere ihre Nachgeburt, ohne dass einer hektisch was spritzt oder an der Nabelschnur zieht. Beim Menschen bräuchte es nicht anders zu sein. Ist das Baby da und blutet die Frau nicht anhaltend stark, gibt es keinen Grund zur Eile. Man kann – und sollte – warten. Eine halbe Stunde ist noch gar nichts. Eine Stunde, zwei Stunden … Frauen gebären ihre Nachgeburt selten sogar auch mal einen Tag später. Die ungeduldigen Maßnahmen im Krankenhaus und auch mancher Hausgeburtshebamme sollen zwar Blutungen vorbeugen, begünstigen sie aber oft erst recht und ziehen dann weitere Interventionen und manchmal auch lebensbedrohliche Situationen nach sich. Hier ist ein anderer Ansatz von Seite der Geburtshelfer nötig. Aber auch ein Bewusstsein der Frauen für das Problem. Sie können darauf bestehen, dass man die Plazenta in Ruhe lässt, dass solange gewartet wird, wie es nötig ist. Es ist ihr Körper, auch während der Geburt!
    Klar, die Plazenta sollte irgendwann raus. Nach zu vielen Stunden wird sonst eine Infektion wahrscheinlicher – die aber auch nicht unbemerkt und plötzlich über einen hereinbricht, sondern sich durch steigendes Fieber bemerkbar macht. Für die Plazentageburt sind, wie für die ganze Geburt, Hormone zuständig. Damit die wirken können, braucht es die gleiche, ruhige Umgebung wie zur Geburt des Kindes. Hektik/Angst/Sorge hemmen diesen Prozess. Die Furcht, die Gebärmutter könnte die Plazenta einschließen und nicht wieder hergeben, scheint auch allein aus dem Krankenhaussetting geboren zu sein, wo alles schnell gehen soll und dabei grob herummanipuliert wird.
    Es braucht nicht unbedingt eine Alleingeburt, um auch während der Geburt über seinen Körper selbst verfügen zu dürfen – auch wenn das zugegeben vieles einfacher macht. Aber es braucht ein Bewusstsein der Frauen für die Sache. Viele Frauen gehen beim ersten Kind ahnungslos in die Klinik und kommen traumatisiert wieder heraus. Von den Schattenseiten medizinischer Geburtshilfe hatten sie bis dahin trotz bester Vorbereitung nie gehört.
    Sprecht darüber! Informiert euch! Sucht euch eine gebärfreundliche Geburtsumgebung und -begleitung! Schreibt einen Geburtsplan! Besteht auf euer Selbstbestimmungsrecht! Nur so können wir Frauen auch im Bewusstsein der Geburtshelfer und an unserer Gebärkultur etwas verändern.

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  9. Als Hebamme kenne ich dieses beklemmende Gefühl sehr sehr gut.
    Aber es ist wichtig, das Schweigen zu brechen.
    Es ist aturgegegeben einfacher, ein Schicksal zu ertragen, das man als „normal“ einstuft oder als „kommt schonmal vor“. Wird die Vertrauensperson zum Täter ist das schwer zu ertragen.
    Gibt es einen Täter gibt es ein Opfer. Und ist man Opfer drängt sich sofort die Frage auf: „Hätte ich selbst etwas tun können, um nicht Opfer zu werden?“
    Die Erkenntnis, Opfer geworden zu sein, ausgenutzt und übergangen worden zu sein ist keine Schöne.
    Aber es ist die einzige Möglichkeit, aus der Opferrolle zu kommen und Selbstverantwortung zu übernehmen.
    Danke, dass Du den Mut hast, so etwas auszusprechen.

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