Ich glaub, es hackt!

Gebetsmühlenartig wurde 2014 gesundheitspolitisch die Zahl der Hebammen in Deutschland, welche auch Geburtshilfe leisten, auf eine Anzahl von 3500 festgezurrt. Nein, der drohende Wegbruch der Haftpflichtversicherung, der im Februar 2014 verkündet wurde, betrifft nicht alle ca. 18.000 Hebammen in Deutschland. Es geht „nur“ um die 3500 Geburtshelfer, die freiberuflich arbeiten, also nicht fest in Kliniken angestellt sind.

Nun, zwei Jahre später, behauptet der GKV- Spitzenverband auf Basis seiner eigenen Statistik, dass im Oktober 2014 knapp über 5000 Geburtshelfer tätig waren, die auch tatsächlich Geburtshilfe leisten. (also nicht nur Vorsorge und Wochenbettbetreuung anbieten oder Vorbereitungskurse machen).

Im Oktober des Folgejahres, also Oktober 2015, sei sogar festgestellt worden, dass sich deren Anzahl sogar noch erhöht habe. 5121 Geburtshelferinnen und Geburtshelfer seien demnach tätig gewesen. Zu guter Letzt konstatiert der GKV, dass auch die Gesamtzahl der freiberuflichen Hebammen in Deutschland innerhalb eines Jahres gestiegen wäre, und zwar von 17503 auf 17893.

Ernsthaft? Bei ca. 18.000 Hebammen (und wahrscheinlich fünf Entbindungspflegern) deutschlandweit, sind nur etwa 200 fest angestellt?

Gleichzeitig finden sich auf der Homepage des GKV ganz andere Zahlen. In der Pressemitteilung vom 15. Januar 2016 steht: „Heute haben die ersten der rund 3.000 freiberuflichen Hebammen mit Geburtshilfe einen finanziellen Ausgleich […]“

Wie ist das jetzt wirklich, lieber GKV? Haben wir rund 3000 freiberufliche Hebammen (davon 2300 durch den DHV versicherte*) mit Geburtshilfe oder 5121 Geburtshelferinnen?

Wir diskutieren seit Jahren ohne verlässliches Datenmaterial. Niemand weiß, wie viele Hebammen tatsächlich arbeiten, ob sie Teilzeit oder Vollzeit tätig sind, ob sie Festangestellte sind und/oder Freiberuflerinnen. Eine Entwicklung kann gar nicht aufgezeigt werden, da diese Daten nicht erfasst werden. Das Gesundheitsamt ist die Aufsichtsbehörde der Hebammen. Hier weiß auch niemand, wie sich das Angebot entwickelt hat, wie es sich modifiziert hat und welchen Schwankungen es unterlag und unterliegt. Hier weiß man nur, dass so und so viele Hebammen ihre Tätigkeit angemeldet oder so und so viele Hebammen ihre Tätigkeit abgemeldet haben. Keiner weiß, wie viele Hebammen heute tatsächlich Geburtshilfe leisten, wie viele nur noch Vorsorge machen und das Kernstück ihrer Arbeit, die Geburtshilfe, gestrichen haben. Keiner weiß, wie viele Hebammen nun wirklich in Festanstellung in Kliniken arbeiten oder ob sie – nebenbei- noch freiberuflich ihr Einkommen aufbessern. Und wenn ja, wie machen sie das? Bieten sie Wochenbettbetreuung an oder auch außerklinische Geburtshilfe? Wie sind sie versichert? Über die Klinik oder/und privat? Keiner weiß, wie viele Hebammen jährlich ganz aus ihrem Beruf ausscheiden und wie viele Berufsanfänger neu in den Sektor strömen. Keiner weiß, wie lange sie durchhalten, bevor sie wieder aufgeben.

Lieber GKV: Verwirrung stiften und mit unterschiedlichen Zahlen jonglieren, die sowieso keiner nachprüfen kann, weil sie nicht erhoben werden, z.B. von den Gesundheitsämtern, ist auch eine Taktik. (nicht zu vergessen vor dem Hintergrund, dass 2017 neben der Bundestagswahl auch wieder Sozialwahl ist.)

Und jetzt? Jetzt überschlagen sich die Zeitungen und Magazine mit ihren Meldungen. Alle berufen sich auf die dpa, der ja diese Statistik des GKV vorliegt:

Trotz lauter Klagen wieder mehr Hebammen, schreibt die Frankfurter Allgemeine heute.
Der Spiegel Online  veröffentlicht noch eine andere Zahl DHV versicherter Hebammen. Demnach seien es 2411 Hebammen mit Geburtshilfe. Der GKV verkündete in seiner Pressemitteilung die Zahl 2300.

Und auch die Ärztezeitung meint, dass die Zahl der freiberuflichen Hebammen gestiegen sei, entgegen aller Befürchtungen.

Weitere Zeitungen werden folgen und die Öffentlichkeit wird das Gefühl bekommen, es sei alles im Lot, es läuft alles wunderbar mit der Versorgung von Schwangeren. Ein Aufschrei ist nicht notwendig und Handeln schon gar nicht.

Aber glaubt ihr wirklich, dass wir so im Wald stehen und die Bäume nicht mehr sehen? Glaubt ihr wirklich, dass die Eltern in Deutschland nicht mitbekommen, wie sie hinters Licht geführt werden? Diese Fragen richten sich auch an unsere politischen Vertreter, denen seit Jahren nichts anders einfällt, als zu schreiben, dass die Arbeit der Hebammen wichtig ist.

Willkommen in der Wahlkampfarena 2016/2017.

Wir sind nicht Eure Zuschauer.

EDIT: Der deutsche Hebammenverband hat nun ebenfalls auf die Zahlenspielchen des Spitzenverbandes des Krankenkassen (GKV) reagiert und wertet die veröffentlichten Daten des GKV-Spitzenverbands zu freiberuflichen Hebammen in Deutschland als widersprüchlich und nicht aussagekräftig. Es ist ganz klar, dass in Deutschland zu wenig freiberufliche Hebammen tätig sind.

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*Der Deutsche Hebammenverband hat mittlerweile das Monopol bei Gruppenhaftpflichtversicherungen für Hebammen. D.h. nur ein DHV Mitglied, kann sich haftpflichtversichern lassen. Ohne DHV Mitgliedschaft kann sich eine Hebamme nicht an der Gruppenhaftpflicht beteiligen und muss sich direkt versichern. Die Anzahl derer, die in Eigenregie ihre Versicherung abschließen bzw. abgeschlossen haben, scheint jedoch verschwindend gering. Auch hier gibt es keine verlässlichen Zahlen.

 

#Geburt #Geburtshilfe #Hebamme #Schwangerschaft #Wochenbett #Mutter #Elterm #Elternstimme #sichereGeburt #Elternprotest

 

7 Kommentare

  1. RettetdieHebammen · · Antworten

    Wenn doch angeblich sooo viele Hebammen zur Verfügung stehen, wie kann es da sein, dass man fast alle einer Stadt durchtelefonieren muss und meist nur Absagen bekommt???

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  2. Die Öffentlichkeit wird getäuscht und das Thema Hebammenversorgung runtergespielt, um den Mop zu beruhigen. Die realen Zustände sprechen eine andere Sprache. Die Versorgung und die Fürsorge Gebärender in Kliniken sind nicht nur suboptimal, sondern meistens katastrophal. Die freie Wahl des Geburtsortes, egal ob in der Klinik geboren werden soll, zu Hause oder im Geburtshaus, ist de facto kaum noch vorhanden. Hebammen, welche die Frauen in der Zeit der Schwangerschaft begleiten könnten, gibt es kaum mehr und Hebammen, die eine Wochenbettbetreuung anbieten, auch kaum noch. Die Zahl der Gebärenden steigt seit vielen Jahren, die Anzahl der Geburtskliniken sinkt. In gar nicht allzu langer Zeit, wird kaum noch einer wissen, was eine hebammenbetreute Schwangerschaft und Geburt bedeutet. Dann sind die Zustände, die wir heute so massiv bemängeln, normal.

    Noch tätige festangestellte Hebammen arbeiten oftmals in Teilzeit, z.B. weil sie dem Stress ihrer Arbeitsumgebung (Klinik) umgehen wollen und müssen. Denn wer hält sowas schon jahrelang aus? Andere arbeiten in Teilzeit, weil sie selbst Kinder haben und Mütter sind. Ein Teil der Hebammen konzentriert sich nur noch auf ein Angebot an Vorbereitungskursen oder legt den Fokus aus Familienhebammerei. Das klassische Tätigkeitsfeld einer Hebammen, also die Betreuung der Schwangeren in der Schwangerschaft, die Begleitung bei der Geburt und die Versorgung, auch über die Wochenbettzeit hinaus, ist in viele kleine Teilchen zersplittert.

    Frauen, die eine Bezugshebamme suchen, also EINE Hebammen, die sie die ganze Zeit begleitet (Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett), haben es besonders schwer, vor allem die Frauen, die in einer Klinik gebären möchten. Denn dazu benötigen sie eine Beleghebamme. Für Frauen, die zu Hause oder im Geburtshaus gebären möchten, stehen die Chancen höher, eine Bezugshebamme zu finden. Frauen, die nur eine Wochenbettbetreuung suchen oder Frauen, die vielleicht nur die Vorsorge bei einer Hebamme machen wollen, haben vielleicht noch Chancen. Jedoch nur, wenn sie sich bereits zu Beginn der Schwangerschaft auf die Suche machen. Eine Hebamme mit freiem Betreuungskontingent gefunden zu haben, heißt jedoch nicht, dass der Deckel auch auf dem Topf passt. Und wenn man emotional nicht zueinanderfindet, beginnt die Suche von vorn.
    Fein raus scheinen die zu sein, die auf Hebammen verzichten. Sie gehen zum Arzt, um ihre Vorsorge zu machen, sie gehen in die Klinik, weil dort auch Ärzte arbeiten und wenn sie dann im Wochenbett sind und um zig Erfahrungen reicher, fragen sie sich, warum sie eigentlich nie darüber nachgedacht haben, ihre Schwangerschaft mit einer Hebammen zu ergänzen, und warum niemand an ihrer Seite war und ist.

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  3. Super Beitrag. Richtig und wichtig, dass diese Augenwischerei bzw. Vernebelungstaktik im Allgemeinen und im Besonderen vor Wahlen, aufgedeckt und benannt wird. Aber das Arbeiten mit geschönten also falschen Zahlen ist ja eine Spezialität der Wahlkampfstrategen und Lobbyisten. Leider zeigt dieses Beispiel auch die schlechte Recherche und fehlende kritische Prüfung durch die Verantwortlichen in den Medien.

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  4. […] dass es nun mehr von freiberuflich geburtshilflich tätige Hebammen gäbe. Jede Hebamme weiss, dass diese Zahlen nicht stimmen, wenn sie tagtäglich sehr vielen Frauen auf Hebammensuche zwecks mangelnder Kapazitäten absagen […]

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  5. […] und der GKV-SV treibt ein falsches Zahlenspiel (das leider mit der Realität nichts zu tun hat). […]

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  6. Annemarie Domby · · Antworten

    Dabei dachte ich immer, dass die Versorgung mit Hebammen in der DDR nicht gegeben war, aber was ich hier lese, nimmt löst auch jetzt meine damalige Betroffenheit nicht. Meine älteste Schwester kam aus Vorsorge in der Klinik eines Arztes zur Welt, die anderen drei wurden mit Hebamme zu Hause geboren. Bei mir hatte meine Mutter einen Blutsturz, schlimmer aber war, dass sie mich als viertes Mädchen für eine noch private Landwirtschaft nicht wollte und eine einjährige Depression dazu kam; meine noch kinderlose Tante versorgte mich in der Zeit ihres Klinikaufenthaltes. Bei meiner ersten Entbindung traf ich alle Sicherheitsvorbereitungen wegen Risikogeburt infolge ASD, auch Nervenschwäche. Mein Professor in Berlin ging in Urlaub, so empfing mich eine junge Ärztin in der damals neuen Charité gleich mit den Worten: Zangengeburt- Schreck für mich! Aber am Ende kam es auch so an einem Sonntagfrüh. angeschlossen an ix Geräten, die nur mal überprüft wurden während der Wehen, dann ein fremder Arzt, keine Diskussion, dreimal pressen, Vollnarkose und Zangengeburt. Das hat mich so aufgebracht, dass wieder eine manisch-depressive Phase folgte; meine Schwester konnte meine Tochter 2 Monate zu Hause versorgen während meines Klinikaufenthaltes. Ich dachte nicht daran, dass sich so etwas wiederholen könnte; mit einer Hebammenbegleitung vor, während und nach der Geburt hätte es sicher nicht dazu kommen müssen, aber ich hörte zu der Zeit nichts von Hebammen. Jetzt gibt es sie aber, darum lasst diese Möglichkeit nicht umgenutzt!

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    1. Danke, Annemarie, dass du deine Erfahrungen hier teilst. Was du schreibst macht mich betroffen.
      Das erste, was meine Hebamme mich fragte, als sie in der Schwangerschaft meine Betreuung übernahm, war, wie meine eigene Geburt war und die des Vaters. Ich habe erst viel später verstanden warum das so wichtig für sie war. Für mich war es das erst mal nicht. Heute weiß ich, dass Geburtserfahrungen, und damit meine ich nicht nur den Akt des Gebärens an sich, Einfluss auf die eigene Schwangerschaft und die Geburt haben können. Es ist eine Generationsübertragung die sich immer wieder fortsetzt, solange sie nicht durchbrochen wird. Daher ist es so wichtig wie Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett von Frauen erlebt werden, denn das wird in die nächste Generation weitergegeben.

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